Die Stiftung von Microsoft-Gründer Bill Gates will weltweit Seuchen bekämpfen – und agiert dabei wie ein Pharmakonzern
Martin Springsklee redet nicht herum. »Wir sind nun mal keine charity«, sagt er. Springsklee kennt sich aus, wenn es um die Geschäftslogik der Pharmaindustrie geht, schließlich leitet er die klinische Entwicklung von Arzneimitteln gegen Infektionen bei der Bayer Healthcare AG in Wuppertal. »Neue Medikamente sehen Sie alle paar Jahre«, meint er, »das ist ein Ergebnis massiver Forschung. Doch Mittel gegen eine vernachlässigte Krankheit wie Tuberkulose zu entwickeln, das wäre kommerziell schwer durchzusetzen.«
Trotzdem arbeitet Springsklee jetzt schon seit Monaten ebendaran: an einem Mittel gegen Tuberkulose, jene hartnäckige Infektionskrankheit der Lungen, die in der entwickelten Welt fast ausgerottet ist, aber anderswo alle 15 Sekunden ein Menschenleben fordert. Es gehört zu den kniffligsten Aufgaben der Pharmaentwicklung. Das Tuberkulosebakterium ist ein besonders hartnäckiger Krankheitserreger, und bisher müssen Patienten sechs bis 24 Monate lang täglich ein halbes bis ein Dutzend Pillen schlucken. In armen Ländern hält das kaum jemand bis zum Ende durch.
Springsklee und sein Team wollen jetzt nachweisen, dass das längst bekannte Bayer-Medikament Moxiflox helfen kann und – wenn man es dem Tablettencocktail beimischt – die Behandlung um ein paar Monate verkürzt. Keine leichte Aufgabe. Wie bei jeder Entwicklung eines neuen Arzneimittels oder einer neuen Anwendung gehört aufwändige Forschungsarbeit dazu, Überzeugungsarbeit bei Gesundheitsbehörden in aller Welt, und vor allem bedarf es klinischer Tests. 2500 Tuberkulosepatienten in den USA, Südafrika, Brasilien, Uganda, Tansania und Sambia werden gerade rekrutiert und bekommen das Mittel testweise verabreicht. »Wenn diese klinischen Tests erfolgreich verlaufen«, sagt Springsklee, »könnte Moxiflox 2010 oder 2011 gegen Tuberkulose zum Einsatz kommen.«
Dass Bayer so massiv gegen die Tuberkulose kämpft – das letzte wirklich neue Tuberkulosemittel wurde vor Jahrzehnten entwickelt –, ist das Werk von Bill Gates. Der Gründer des Software-Riesen Microsoft und reichste Mann der Welt hat in den vergangenen Jahren seine Bill & Melinda Gates Foundation (BMG) mit fast 30 Milliarden Dollar Kapital ausgestattet und damit zur reichsten Stiftung überhaupt gemacht. Ende Juni schoss der zweitreichste Mann der Welt, Warren Buffett, weitere 32 Milliarden Dollar hinzu. Etwa 80 Prozent des Geldes sollen zur Bekämpfung von Krankheiten und Seuchen eingesetzt werden – etwa Aids, Malaria und Tuberkulose. Nicht nur das viele Kapital soll den Unterschied ausmachen, sondern auch eine aggressive Strategie. »Wir nehmen das in die Hand«, sagt Bills Frau Melinda, die früher als Managerin bei Microsoft arbeitete und nun einen wesentlichen Teil der Stiftungsorganisation übernommen hat. »Wir wollen diese Krankheiten ausrotten.«
Die Hausnummer 80 in der Broad Street ist eine imposante Adresse im Herzen des New Yorker Finanzzentrums: ein Wolkenkratzer mit 36 Stockwerken, Art-Déco-Verzierungen im Eingangsbereich, viel Marmor und teurem Holz an den Wänden. »Ehrlich gesagt haben wir unsere Büros nur deshalb hierhin verlegt, weil es gleich nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 so günstig war«, sagt Nina Schwalbe. »Eigentlich sind wir hier ein sehr kostenbewusster Laden.«
Eine Milliarde Dollar kostet es, ein neues Medikament zu entwickeln
Nina Schwalbe ist eine Direktorin bei der Global Alliance for TB Drug Development, kurz TB Alliance. Die ist ein Teil des Stiftungsimperiums der Bill & Melinda Gates Foundation: Nach einem Gründungssymposium im Jahr 2000 im südafrikanischen Capetown wurde sie mit 25 Millionen Startkapital von BMG und 15 Millionen von der Rockefeller Foundation ins Leben gerufen, um neue Mittel gegen die Tuberkulose zu entdecken. Seither sind die Finanzen der Organisation erheblich aufgestockt worden: Andere Stiftungen beteiligten sich, die niederländische und die amerikanische Regierung schossen Geld zu, doch 80 Prozent des Stiftungsbudgets stellen das Ehepaar Gates. »In den kommenden fünf Jahren planen wir, 123 Millionen Dollar auszugeben«, erläutert Nina Schwalbe. »Doch wir werden um ein Vielfaches davon wachsen müssen – in der Pharmaindustrie geht man davon aus, dass die Entwicklung einer neuen Arznei eine Milliarde Dollar verschlingt! Und schließlich betreiben wir hier eine Art virtuelles Pharmaunternehmen.«
Tatsächlich: Wie die meisten Arme der Gates-Foundation ist die TB Alliance kaum mit klassischen Entwicklungshilfe- oder Wohltätigkeitsorganisationen zu vergleichen. Man spricht die Sprache des Business, der optimistische can do-Spirit amerikanischer Entrepreneure regiert, und bisweilen fühlt man sich ans Silicon Valley erinnert (Bill Gates gab einmal zu Protokoll, dass ihm das Entwickeln neuer Impfstoffe »genauso viel Spaß« mache wie das Schreiben neuer Software). Die TB Alliance will ein Produkt erstellen, ein Arzneimittel, das nach ihren Angaben »die Behandlung eines Tages auf zehn Dosen eines Arzneimittels reduzieren soll«.
So plant die TB Alliance von vornherein wie ein Unternehmen: Nicht nur Moxiflox steckt in der Entwicklung, sondern gleich eine Hand voll vielversprechender Mittel, ähnlich der »Pipeline« eines Pharmakonzerns. Selbst in dieser frühen Phase reden die Mitarbeiter nicht nur mit den Forschern, sondern ebenso mit Medizinherstellern in armen Ländern, die solche Mittel eines Tages produzieren könnten, mit örtlichen Vertriebsexperten und Gesundheitsbehörden. Partner aus der Industrie übernehmen den Löwenanteil der Entwicklung – eben die Bayer AG, aber auch ChironAstraZeneca, GlaxoSmithKline und eine Reihe kleiner Biotech-Firmen. »Es ist von Beginn an klar gewesen, dass da mit Profi-Standards gearbeitet wird«, sagt Bayer-Mann Springsklee. »Man spricht mit diesen Leuten eine gemeinsame Sprache.«
»Wer reich stirbt, stirbt in Schande«, hat Andrew Carnegie 1889 geschrieben, und natürlich hat die Wohltätigkeit reicher amerikanischer Geschäftsleute eine lange Tradition. Carnegies Generation schwerreicher Unternehmer aus der Blütezeit der Eisenbahn-, Stahl- und Ölvermögen im späten 19. Jahrhundert hatte selbst eine spektakuläre Welle von Stiftungen ins Leben gerufen. Diesmal freilich ist einiges neu. Nie hat es eine private Stiftung von der Größenordnung der BMG gegeben. BMG wird pro Jahr mindestens drei Milliarden Dollar ausgeben, und zwar unter der Regie der Stifter selbst. Das management by testament früherer Generationen kommt aus der Mode – jenes Modell, bei dem das gestiftete Kapital von Erben oder Treuhändern verwaltet wurde und die Zinsen von einer Art wohltätiger Bürokratie verteilt wurden. Stattdessen arbeiten heute einige Stifter wie Bill Gates (50) und Melinda Gates (41) so ähnlich, wie sie schon als Manager oder Anleger agierten. »Wir können unsere eigenen Gehirne benutzen, um die Welt zu verbessern«, hat es der ehemalige Citigroup-Chef und Stifter Sanford Weill auf den Punkt gebracht. Manche dieser neuen Stiftungen wollen nicht einmal ihr Kapital auf Dauer behalten, sondern es über die Jahre komplett für ihre Stiftungszwecke ausgeben.
Freilich steht das Urteil noch aus, ob diese Art des Stiftens effizienter ist als die alte. Die klassisch geführte Rockefeller Foundation hat längst ihre Schlüsselbeiträge zur Entwicklung geleistet, von der Entwicklung eines Impfstoffs gegen Gelbfieber bis zur Ausrottung des Hakenwurms in den Vereinigten Staaten. Erfahrene Stiftungsorganisationen und ihre Berater haben gelernt, wie langwierig solche Arbeit sein kann. »Wir würden gerne denken, dass unsere Beiträge etwas ausrichten können – aber dafür gibt es erstaunlich selten Nachweise«, sagt Mark Kramer, der Chef der Beratungsfirma FSG Social Impact Advisors. Eine Woche vor der Bekanntgabe von Buffetts Riesenspende an das Ehepaar Gates hatte ausgerechnet BMG öffentlich zugegeben, dass ihr parallel laufendes Programm zum Aufmöbeln amerikanischer Schulen kaum Ergebnisse gezeigt hat. Man sei anfangs »naiv« an diese Aufgabe herangegangen, gab Melinda Gates zu. Aus solchen Fehlern werde die Stiftung lernen.
Theoretisch mag viel dafür sprechen, dass diese Mentalität von Versuch und Irrtum, von unternehmerischer Kompetenz und bisweilen kühler Technokratie großen Nutzen schafft. Der Beweis steht aus. Doch staatliche Budgets für viele ehemals öffentlich wahrgenommene Aufgaben schrumpfen, oder sie hängen zumindest von den Launen der Politik ab. Bill Gates sagte vor einigen Tagen, dass bei spekulativen Projekten wie der Entwicklung eines neuen TB-Arzneimittels eine private Stiftung »schlicht den längeren Atem« habe, »länger als die Amtszeit eines Politikers«. BMG will daher im kommenden Jahrzehnt fast eine Milliarde Dollar für die Entwicklung neuer TB-Medikamente aufbringen.
So sind im Netzwerk rings um BMG inzwischen rund 20 Organisationen nach Art der TB Alliance entstanden, die sich der Entwicklung neuer Medikamente, Impfstoffe, diagnostischer Verfahren oder Verabreichungsmethoden verschrieben haben. Manche bekommen ihre Mittel für fünf Jahre zugesagt, andere für drei. Jedes Jahr müssen sie außerdem das Erreichen vorher festgelegter »Meilensteine« nachweisen – etwa den Beginn eines klinischen Versuchs oder den Abschluss einer bestimmten Forschungsarbeit –, sonst fließen selbst die zugesagten Gelder nicht weiter. »Damit wir nicht in Verzug geraten, benutzen wir sogar ein Programm namens Microsoft Project«, sagt Nina Schwalbe von der TB Alliance und fügt dann schnell hinzu: »Natürlich zwingt uns keiner, dieses Programm zu benutzen.«
Doch so gut die Sache klingt – selbst im freizügigen Unternehmerland USA ist längst Kritik an den neuen Megastiftungen laut geworden. Das hat viel damit zu tun, dass Stiftungen wie BMG frei nach Gutdünken operieren und andere Geldgeber vertreiben können – den Staat etwa, die Vereinten Nationen und andere private Wohltäter. Die Weltgesundheitsorganisation WHO beispielsweise, deren jährliche Ausgaben heute schon unter denen der Gates-Stiftung liegen, würde gerne ein multilaterales System aufbauen, um die Entwicklung von Heilmitteln in aller Welt zu koordinieren. Doch de facto, sagen Insider der Pharmabranche, setzten geldreiche Stiftungen wie BMG längst die Forschungsagenda.
Kann man sich auf ihre guten Absichten immer verlassen? Der milliardenschwere Chef des kalifornischen Datenbankunternehmens Oracle ließ kürzlich von einem Tag auf den anderen ein medizinisches Forschungsprojekt an der Universität Harvard platzen – Berichten zufolge, weil er über den Rauswurf des umstrittenen Uni-Präsidenten Larry Summers erbost war. Schon 1995 hatte seine Stiftung plötzlich die Erforschung neuer Heilmittel überraschend eingestellt und ihr dreistelliges Budget stattdessen der Erforschung des Alterns gewidmet.
Vieles in der Stiftung läuft nach dem Prinzip Versuch und Irrtum
Sogar in der TB-Forschung ist ein Richtungsstreit ausgebrochen und füllt Symposien voller Mediziner, wohltätiger Organisationen und Gesundheitsbehörden. Ist Tuberkulose ein technisches Problem, eine Frage neuer Arzneimittel? Ist nicht jede Krankheitsbekämpfung vielschichtiger, sodass man gleichzeitig auch die Wasserversorgung und die Anbindung an die Infrastruktur, eine gesunde Ernährung und die Reform der örtlichen Verwaltungsbehörden anpacken müsste?
Bill und Melinda Gates haben auch in diesen Fragen hinzugelernt. Als Warren Buffett ihnen Ende Juni zusammen mit seiner Spende den Rat gab, sich beim Ausgeben des Geldes nicht zu verzetteln, gab Melinda Gates ihm ein höfliches Widerwort. Die Stiftung wolle sich an einigen Wirkungsstätten auch in die klassische Armutsbekämpfung einmischen, etwa durch die Vergabe kleiner Kredite. Sonst sei selbst mit den besten Medikamenten nichts auszurichten. Offenbar spricht doch vieles für die Trial-and-Error-Mentalität eines gewieften Unternehmerpaares.